Zur Darlegungs- und Beweislast des Käufers bei einem Sachmangel an einem entgegengenommenen Gebrauchtwagen

BGH, Urteil vom 02.06.2004 – VIII ZR 329/03

Macht der Käufer Rechte gemäß § 437 BGB geltend, nachdem er die Kaufsache entgegengenommen hat, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für die einen Sachmangel begründenden Tatsachen. § 476 BGB enthält insoweit für den Verbrauchsgüterkauf keine Beweislastumkehr. Die Bestimmung setzt einen binnen sechs Monaten seit Gefahrenübergang aufgetretenen Sachmangel voraus und begründet eine lediglich in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, daß dieser Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 31. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 8. September 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger kaufte am 15. Januar 2002 von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin,
einen Opel V.       zu einem Preis von 8.450 € für seinen
privaten Gebrauch. Das im Dezember 1996 erstmals zugelassene Fahrzeug
wies zu diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von 118.000 auf. Im November
des Jahres 2001 hatte die Beklagte bei einem Kilometerstand von 117.950 den
Zahnriemen erneuert. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 18. Januar 2002
gegen Zahlung des Kaufpreises übergeben.

Am 12. Juli 2002 erlitt das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von
128.950 einen Motorschaden, dessen Ursache zwischen den Parteien streitig
ist. Das Fahrzeug befindet sich seitdem bei der Beklagten. Diese lehnte eine
kostenlose Reparatur ab. Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom
26. Juli 2002 den Rücktritt vom Kaufvertrag.

In dem vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger von der Beklagten
Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen, die er auf 657 €
(0,06 € x 10.950 km seit Übergabe) beziffert. Insgesamt begehrt er danach Zahlung
von 7.793 € nebst Verzugszinsen, Zug um Zug gegen Rückübereignung
des Fahrzeugs. Ferner hat der Kläger die Feststellung des Annahmeverzugs
der Beklagten beantragt. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines
Sachverständigengutachtens abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat
das Oberlandesgericht der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.

 Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Der Kläger sei gemäß § 437 BGB in Verbindung mit §§ 440, 323 und 326
Abs. 5 BGB berechtigt gewesen, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Ursache des
am 12. Juli 2002 aufgetretenen Motorschadens sei nach den Feststellungen
des in erster Instanz beauftragten Sachverständigen das Überspringen eines zu
lockeren Zahnriemens am Steuerrad der Nockenwelle gewesen, das eine Fehlsteuerung
der Einlaßventile am ersten Zylinderkopf ausgelöst habe. Der Sachverständige habe
die Lockerung des Zahnriemens auf fehlerhaftes Material und einen
unangemessen hohen Verschleiß des Zahnriemens zurückgeführt. Er sei
der Auffassung gewesen, daß von einem Zahnriemen eine längere Haltbarkeit
als lediglich acht Monate und circa 10.000 km Laufleistung zu erwarten sei.
Damit habe der Kläger nachgewiesen, daß der Motorschaden nicht auf einen
normalen Verschleiß zurückzuführen und innerhalb von sechs Monaten seit
Übergang der Gefahr am 18. Januar 2002 aufgetreten sei.

Deshalb werde gemäß § 476 BGB zugunsten des Klägers als Käufer vermutet,
daß das Fahrzeug bereits bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sei.
Die Beklagte als Verkäuferin habe demgegenüber keine Tatsachen nachgewiesen,
die nach der Art des verkauften Fahrzeugs oder der Art des aufgetretenen
Mangels mit dieser Vermutung unvereinbar seien. Nachdem der Sachverständige
als mögliche Ursache der Lockerung des Zahnriemens auch einen
fehlerhaften Gangwechsel bei hoher Motordrehzahl durch den Kläger und damit
einen Fahrfehler als mögliche Schadensursache bezeichnet habe, habe sich
die Beklagte dies zu eigen gemacht. Für das Vorliegen eines Fahrfehlers des
Klägers, den dieser bestritten habe, fehle jedoch jeglicher Anhaltspunkt und
Nachweis; allein die Behauptung eines solchen Fahrfehlers reiche zur Widerlegung
der Vermutung des § 476 BGB nicht aus.

Unter Ansatz der unstreitigen Laufleistung von 10.950 km seit Übergabe
und einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 km errechne sich
eine Nutzungsentschädigung von 0,06 € pro gefahrenem Kilometer, mithin insgesamt
675 € (gemeint: 657 €). Da die Beklagte eine kostenlose Reparatur des
Motors von Anfang an bis heute ablehne, habe der Kläger ihr keine Frist setzen
müssen.

II.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Vergeblich rügt die Revision allerdings, das Berufungsurteil verstoße
gegen § 540 ZPO, da es den Berufungsantrag der Beklagten nicht wiedergebe.
Zutreffend geht die Revision davon aus, daß auch nach § 540 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 ZPO n.F., der gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO auf das Berufungsverfahren anzuwenden
ist, da die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht am 28. März
2003 geschlossen wurde, die wörtliche oder zumindest sinngemäße Aufnahme
der Berufungsanträge in das Berufungsurteil nicht entbehrlich ist (Senatsurteil
vom 26. Februar 2003 – VIII ZR 262/02, NJW 2003, 1743, zur Aufnahme in
BGHZ 154, 99 vorgesehen; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003 – VIII ZR
122/03, NJW-RR 2004, 494, unter II 2). Dieser Anforderung wird das angefochtene
Urteil indessen gerecht. In den Gründen ist zwar lediglich der Berufungsantrag
des Klägers, mit dem er sein Klagebegehren weiterverfolgt, wörtlich wiedergegeben.
Jedoch erschließt sich insbesondere aus der Wiedergabe des Antrags
des Klägers in Verbindung mit der in den Gründen enthaltenen Feststellung,
in erster Instanz sei die Klage abgewiesen worden, daß die Beklagte der
Klage auch in der Berufungsinstanz entgegengetreten ist und sie mithin den
Antrag gestellt hat, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

2. Die Revision rügt dagegen mit Erfolg, daß das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft
zur Annahme eines Sachmangels im Sinne des § 434 Abs. 1
BGB gelangt ist, der den Kläger gemäß § 437 Nr. 2 BGB zum Rücktritt von dem
Kaufvertrag vom 15. Januar 2002 berechtigt.

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß das
Bürgerliche Gesetzbuch in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung anzuwenden
ist, weil der Kaufvertrag am 15. Januar 2002 abgeschlossen wurde
(Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB). Gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1
BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die
vereinbarte Beschaffenheit hat; soweit eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht
getroffen wurde, ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach
dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Macht der Käufer, wie hier der
Kläger, unter Berufung auf das Vorliegen eines Sachmangels Rechte gemäß
§ 437 BGB geltend, nachdem er die Kaufsache entgegengenommen hat, trifft
ihn auch nach neuem Schuldrecht die Darlegungs- und Beweislast für die einen
Sachmangel begründenden Tatsachen (Bamberger/Roth/Faust, BGB, § 434
Rdnr. 119; Palandt/Putzo, BGB, 63. Aufl., § 434 Rdnr. 57/59; vgl. auch Begründung
zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BTDrucks.
14/6040 S. 245). Soweit § 476 BGB für den – hier gegebenen – Verbrauchsgüterkauf
die Beweislast zugunsten des Käufers umkehrt, betrifft das
nicht die Frage, ob überhaupt ein Sachmangel vorliegt. Die Vorschrift setzt
vielmehr einen binnen sechs Monaten seit Gefahrübergang aufgetretenen
Sachmangel voraus und enthält eine lediglich in zeitlicher Hinsicht wirkende
Vermutung, daß dieser Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.

b) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht
zu Recht nicht auf den am 12. Juli 2002 eingetretenen Motorschaden
des Fahrzeugs abgestellt. Der Motorschaden war nach dem unstreitigen
Sachverhalt in dem gemäß § 434 Abs. 1 BGB maßgebenden Zeitpunkt des Gefahrübergangs
am 18. Januar 2002 noch nicht vorhanden. Dementsprechend
hat das Berufungsgericht zutreffend darauf abgehoben, ob der am 12. Juli 2002
eingetretene Motorschaden auf eine bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs
vorhandene, in der Beschaffenheit des Fahrzeugs begründete Ursache zurückzuführen
ist.

Hierzu hat das Berufungsgericht zunächst festgestellt, der Motorschaden
sei auf fehlerhaftes Material und einen unangemessen hohen Verschleiß des
vor Kaufvertragsschluß im November 2001 erneuerten Zahnriemens zurückzuführen.
Soweit es diese Ursache als feststehend zugrunde legt, stützt sich das
Berufungsgericht auf die Ausführungen des in erster Instanz beauftragten
Sachverständigen. Dagegen wendet sich die Revision zu Recht. Die Feststellung
beruht auf einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hat gegen das
aus § 286 ZPO folgende Gebot verstoßen, die Beweisergebnisse vollständig zu
würdigen, weil es einen wesentlichen Teil der Ausführungen des Sachverständigen
übergangen hat.

aa) Zwar hat der Sachverständige in seinem erstinstanzlich erstatteten
schriftlichen Gutachten zusammenfassend ausgeführt, Ursache der Zerstörung
des Motors sei das Überspringen des Zahnriemens am Steuerrad der Nockenwelle
gewesen, die eine Fehlsteuerung der Einlaßventile am ersten Zylinderkopf
ausgelöst habe, worauf der Ventilteller des vierten Zylinders abgebrochen
sei und über den Kolben den Bruch der Pleuelstange bewirkt habe. Dies wiederum
sei auf einen zu lockeren Zahnriemen zurückzuführen. Nach seiner – des
Sachverständigen – Meinung seien die Ursachen für diese Lockerung Materialfehler
und ein unangemessen hoher Verschleiß des Zahnriemens. Nach heutigem
Stand könne man von einem Zahnriemen eine längere Haltbarkeit und
Funktionsfähigkeit erwarten als im vorliegenden Fall lediglich acht Monate bei
einer Laufleistung von circa 10.000 km.

Jedoch hat der Sachverständige unter dem vorangehenden Gliederungspunkt
„Beurteilung“ als weitere mögliche Ursache für die Lockerung des
Zahnriemens das Einlegen eines kleineren Gangs bei hoher Motordrehzahl benannt.
In Übereinstimmung damit hat der Sachverständige bei der Erläuterung
seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am
27. März 2003 ausweislich des Protokolls ausgeführt, er könne im Nachhinein
nicht beantworten, wie das Überspringen des Zahnriemens genau zustande
gekommen sei; die Möglichkeit einer Beschädigung aufgrund eines fehlerhaften
Gangwechsels könne er nach wie vor nicht ausschließen. Dementsprechend
heißt es in den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils, der Sachverständige
habe, wie sich auch in der mündlichen Verhandlung gezeigt habe,
im schriftlichen Gutachten keine Aussage dazu treffen wollen, ob der Motorschaden
nicht auch aufgrund des Fahrverhaltens des Klägers zustande gekommen
sein könne. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen, der
lediglich Vermutungen zur Ursache des Überspringens des Zahnriemens habe
treffen können, könne daher nicht mit hinreichender Sicherheit von einem Materialmangel
ausgegangen werden; ein schadensverursachender Fehler im Fahrverhalten
sei zugleich nicht hinreichend auszuschließen.

bb) Das Berufungsgericht hat die nach den Darlegungen des Sachverständigen
nicht auszuschließende Möglichkeit eines Fahrfehlers in Form eines
fehlerhaften Gangwechsels zwar in seinen weiteren Ausführungen erwähnt, bei
der Prüfung, ob ein Sachmangel vorliegt, aber außer acht gelassen. Es hat diese
Möglichkeit vielmehr erst nachfolgend im Rahmen der Prüfung des § 476
BGB berücksichtigt und ausgeführt, für das Vorliegen eines Fahrfehlers des
Klägers, den dieser bestritten habe, fehle jeglicher Anhaltspunkt und Nachweis;
allein die Behauptung eines solchen Fahrfehlers seitens der Beklagten reiche
zur Widerlegung der Vermutung des § 476 BGB nicht aus. Die Möglichkeit eines
schadenverursachenden fehlerhaften Gangwechsels bei im übrigen ordnungsgemäß
funktionierendem Getriebe war jedoch bereits im Rahmen der
Prüfung eines – vom Kläger darzulegenden und zu beweisenden (siehe oben
unter II 2 a) – Sachmangels in die Beweiswürdigung einzubeziehen.

cc) Das Urteil beruht auf diesem Verfahrensfehler (§ 545 Abs. 1 ZPO).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Berufungsgericht einen Sachmangel
nicht als erwiesen angesehen hätte (§ 286 ZPO), wenn es die von dem
Sachverständigen aufgezeigte Möglichkeit eines fehlerhaften Gangwechsels
unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung gemäß § 434 BGB bedacht
hätte.

c) Unter Berücksichtigung dieser Beweislastverteilung hätte das Berufungsgericht
die Möglichkeit eines Fahrfehlers auch nicht ohne weitere Beweiserhebung
ausschließen dürfen. Das Berufungsgericht muß einen Sachverständigen,
worauf die Revision zutreffend hinweist, jedenfalls dann selbst schriftlich
oder mündlich anhören (§§ 402, 398 ZPO), wenn es dessen Ausführungen abweichend
vom erstinstanzlichen Gericht würdigen will (BGH, Urteil vom 8. Juni
1993 – VI ZR 192/92, NJW 1993, 2380 unter II 2 a; BGH, Urteil vom 12. Oktober
1993 – VI ZR 235/92, NJW 1994, 803 unter II 1 b; hinsichtlich der Vernehmung
eines Zeugen vgl. Senat, Urteil vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 151/01, NJW-RR
2002, 1649 unter II 2 b). So ist es hier. Wie bereits oben (unter II 2 b aa) dargelegt,
hat das Landgericht den Sachverständigen nach mündlicher Anhörung so
verstanden, daß ein Fahrfehler als Ursache des Motorschadens nicht auszuschließen
sei. Im Gegensatz dazu hat das Berufungsgericht seine Annahme, es
liege ein Sachmangel vor, darauf gestützt, daß der Sachverständige die Lockerung
des Zahnriemens ausschließlich auf einen Materialfehler und einen unangemessenen
Verschleiß zurückgeführt habe.

3. Des weiteren beanstandet die Revision zu Recht, daß das Berufungsgericht
bei der Berechnung des Werts der vom Kläger durch den Gebrauch des
Fahrzeugs gezogenen Nutzungen (§ 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB) gegen
§ 286 ZPO verstoßen hat, indem es, dem Vorbringen des Klägers folgend,
ohne weiteres von einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 km
ausgegangen ist. Dem Urteil läßt sich nicht entnehmen, ob das Berufungsgericht
erkannt hat, daß die Beklagte, wie die Revision zutreffend aufzeigt, diese
Behauptung des Klägers bestritten hat, und weshalb es gegebenenfalls gleichwohl
die genannte Gesamtfahrleistung zugrunde gelegt hat (zur Schätzung des
Werts der durch den Gebrauch des Fahrzeugs gezogenen Nutzungen analog
§ 287 ZPO vgl. BGHZ 115, 47, 49 ff.; Senat, Urteil vom 17. Mai 1995 – VIII ZR
70/94, WM 1995, 1145 = NJW 1995, 2159 unter III 2; ferner Reinking/Eggert,
Der Autokauf, 8. Aufl., Rdnr. 321, 322).

III.

Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der
Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, da es noch weiterer tatsächlicher
Feststellungen bedarf. Daher ist das Berufungsurteil aufzuheben, und die
Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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